Frühling in Irgendwo




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Frühling in Irgendwo

Beitragvon jupp » Fr 16. Mai 2014, 14:17

Brief Irgendwo.jpg

Liebe Anderswoer,

auch in diesem Jahr kam der Frühling zu uns nach Irgendwo, der unbeschreiblichen Gemeinde auf dem einzigartigen Sonnenplateau. Er ließ allerdings nicht sein blaues Band herumflattern, brachte jedoch wieder die Pracht der dotternden Sumpfdotterblumen und der paradiesischen Löwenzahnwiesen mit. Diese sind mir auch lieber als ein blaues Band. Ehrlich.
Und wie jedes Jahr war es wieder die Zeit der:

TRÄUME AM JUNGEN IRGENDWOER DORFBACH


Altersgerecht, also unberührt von der Umwelt, träumte ich, wie immer wenn ich allein bin, davon - ein Traum mit gemischten Gefühlen, wie gleich zu zeigen sein wird -, in völligem Einklang mit unserer geliebten „Mutter Erde“, mit ihr in Eins verschmolzen, mit der unberührten und reinen Natur, im jungen Irgendwoer Dorfbach, der sich quellfrisch und gar liebreizend durch die Matten nahe unseres unbeschreiblichen Dorfes schlängelt, zu leben. Mich aus einem Teil des sanften Kosmos der Wolke von Froschlaich, die in den ufernahen Grün-Gewächsen nistet, zu einer der zu Tausenden sich in dem lebendigen Wasser tummelnden Kaulquappen zu entwickeln, schließlich, zum putzigen Frosch mutiert und gereift, mich genüsslich und zufrieden in der warmen Sonne am Bachrand aalend, mir ein paar leckere junge Mücken zum Festmahl zu schnappen und dann eine Gattin, gleich mir, mit ihrem betörenden Quaken an meiner Seite zu wissen.
„Wie gut meinst du es mit mir Menschlein, meine lebenspendende Mutter Erde!“ Wohlig entrann dieser tiefe Gedanke meiner Kehle.

„Du Faulenzer, hast Du nichts Besseres zu tun, als hier am Dorfbach nichtsnutzig die Zeit zu vertrödeln?“ Tief versunken in meine versponnenen Träume habe ich das Herannahen meiner lieben Frau, die am Ufer unseres lieblichen Dorfbaches frisches Futter für unsere Kaninchen erntet, nicht bemerkt.
„Meine Liebe“, kaum bringe ich, jäh aus der mythischen Umarmung der Mutter Erde gerissen, ein geordnetes Wort hervor, „ich war … suchte … einfach die göttliche … die verborgene Struktur der Schönheit der Natur….“
„Ach, Josef, hast Du heute wieder einen von Deinen bescheuerten Anfällen? Schau Dich doch mit offenen Augen um und werde erwachsener Realist: Fressen und gefressen werden ist die unerbittliche Struktur der Natur.“
Meine liebe Frau warf eine letzte Handvoll Löwenzahn und eilte zur Küche, um die Forellen für das Mittagessen vorzubereiten.

Da war er mir zwischen den Fingern zerronnen wie dem Tennisspieler der Traum vom Matchball nach zwei Doppelfehlern, der Liebreiz der unbeschädigten Natur. Überfallartig wie der Tinneff eines In-Girls bei RTL II aus meinen sanften Galaxien von kosmischen Melodeien geworfen, betrachte ich mit meinen wieder klar sehend gewordenen Augen das Geschehen der Natur im jungen Irgendwoer Quellgewässer. Jetzt hellwach geworden fällt es mir in die Augen wie die Schuppen von diesen in den Schoß, dass der Großteil des Laichschleimes der Fröschinnen von den räuberischen, ewig hungrigen Forellen gefressen wird, dass die meisten der geschlüpften Kaulquappen dasselbe Schicksal erleiden, und die fröhlichen Frösche wie die räuberischen Forellen die Lieblingsspeise der Fischreiher, die am Ufer des jungen Irgendwoer Dorfbachs siedeln, sind.
„Nee“, denke ich mir ohne jeden träumerisch verklärten Blick, „aus den Träumen eines Lebens im Einklang mit der Natur darf keine Realität werden. Dort gibt es tierische Probleme. Dann lieber die kleinen menschlichen Probleme an dem Ufer des jungen Irgendwoer Dorfbachs.“ Sollen wir am Sonntag den Gemüsegratin als Beilage zum gebratenen Kaninchen – wie gewohnt – mit Orangenthymian oder vielleicht einmal mit ein paar frischen Salbeiblättern oder geraspeltem Ingwer verfeinern? ging es mir als möglichen Ratschlag für meine liebe Frau beim mittäglichen Forellenessen durch den Kopf.
Das Leben an ist menschlicher und erquicklicher als das tierische Leben in dem jungen Irgendwoer Dorfbach.
"Wahre Satire verletzt nicht - sie tötet."
Lec
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