Pestbeulen




Belletristik und Lyrik aller Art

Pestbeulen

Beitragvon jupp » Di 22. Mai 2018, 14:42

PESTBEULEN

Die Pest durchseucht die Welt,
Verwüstung, Elend, Leid, Tod.

Die Pest trägt einen Namen:
die schaurige Trias von hybridem
Nationalismus, religiösem Fundamentalismus
und blindem Rassismus.

Stets von Neuem terrorisiert
der von Menschen gemachte Wahn
die Menschen, doch die Herrscher
wollen von ihrer tollwütigen
Mordmaschinerie nicht lassen,
opfern Millionen ihren Götzen.



Das hypertrophe Arschloch, das sich deutscher Kaiser nannte, und seine schnarrende Monokelentourage – „Wilhelmsaffe“ mit „Berufstotschlägern“ nannte Arno Schmidt dieses Lumpengesindel - haben sich an dem Wahnwitz berauscht, dass eine „Nation“ „über alles gehe“, auch über den Menschen. Ihr Weg ging über Leichenberge.

Der Pestilenzvirus des hybriden Nationalismus berauscht das Volk, das – gesegnet von den geistlichen Herrschern, „Gott mit uns“ auf dem Koppelschloss – über die Welt, die „am deutschen Wesen genesen“ soll, herfällt.

Von meinem Onkel Karl, kenne ich nur sein Grab. Während eines Urlaubs vor 50 Jahren habe ich es besucht, auf einem Soldatenfriedhof in Flandern. Dort liegt er im „Ehrenkleid“ auf dem „Feld der Ehre“. Flandern, einer der schaurigsten Kriegsschauplätze des 1. Weltkrieges, auf dem in mörderischen Materialschlachten bis dahin ungeahnten Ausmaßes bei sinnlosen Stellungskämpfen zahllose Menschen als Opfer des Größenwahns jämmerlich krepierten. Ein kleiner Holzpflock mit Namensschild zwischen ein paar Erikapflanzen, mehr ist nicht geblieben von jenem längst zu Staub gewordenen Wesen, an dem die Welt genesen sollte. Mustergültig betreut von der „Deutschen Kriegsgräberfürsorge“. Wer betreut derart mustergültig die Lebenden, dass sie nie mehr der Pest des fanatischen Nationalismus, besoffen vom Größenwahn, zum Opfer werden?
Das Wesen, an dem die Welt genesen soll, kann man nicht dadurch herbeibomben, indem man die Menschen totbombt. Nicht die Menschen, sondern die Idee des fanatischen Nationalismus muss man morden.

„Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland ...“, die dritte Strophe unserer Nationalhymne, dürfen wir erst aus vollem Herzen singen, wenn deren erste Strophe: „Deutschland, Deutschland über alles in der Welt!“ nicht nur verboten, sondern aus den Köpfen verschwunden ist.








„Das Fundament des christlichen Abendlandes ist in höchster Gefahr und droht einzustürzen!“, predigen wie Sturmgeläut – gleichartig in ihrer Inbrunst – beide Parteien. Doch eine abgrundtiefe Kluft trennt die Parteien. Die eine glaubt, bei dem rituellen Mahl in ihrem Gotteshaus würde sich ganz real das dabei geweihte Brot in den Leib ihres einst auf Erden gelebt habenden Gottessohnes und Religionsstifters verwandeln. Die andere Partei glaubt, bei dem rituellen Mahl in ihrem Gotteshaus würde das dabei geweihte Brot nur den Leib des Gottessohn-Religionsstifters bedeuten.
Beide christlich-abendländischen Parteiungen können sich über ihren Glaubenszwist nicht mit den Mitteln der Vernunft einigen. Sie verwandeln ihren Glaubenskrieg in einen 30-jährigen Waffenkrieg, der das christlich-abendländische Europa total verwüstet.
Die Soldatesken und Söldnerhorden ziehen brandschatzend, plündernd, raubend und mordend durch die Lande, schlagen sich gegenseitig die Schädel ein, fügen den Menschen „im Namen Gottes“, im Namen des Absolutheitsanspruches der alleinigen und ewigen Wahrheit, unendliches Leid zu.
Sobald eine Räuberhorde einen Landstrich der anderen erobert hat, nützt der jeweilige Fürst, der weltliche Arm der jeweiligen geistlichen Herrschaft, die Chance, das eroberte und ausgeplünderte Gebiet seinem Herrschafts- und Machtbereich zuzuschlagen.
Als dann die „große Pest“ (zusätzlich zur zuvor geschilderten geistigen auch die körperliche) die Menschen in Massen dahinrafft, ist das christliche Abendland als Folge fundamentalistisch-religiösen Wahns, dem er zwei Drittel der Menschen zum Opfer gebracht hat, ausgeblutet.
Zwar haben die beiden Parteien immer noch nicht die Kraft und die Einsicht gewonnen, sich an einem Tisch zusammenzusetzen und über eine Konfliktregelung zu sprechen – ihre Delegationen logieren in verschiedenen Städten, verhandeln nur schriftlich per Boten -, aber unter dem Zwang der Verhältnisse – das Gewalt- und Zwangspotential beider Parteien ist völlig ausgelaugt – bringen sie eine Vereinbarung eines Waffenstillstandes zustande, der in der Pressekonferenz als „Westfälischer Friede“ gefeiert wird.

Wir kennen heute noch zur Genüge das Wüten des religiösen Fundamentalismus, von einem weltumspannenden „Westfälischen Frieden“ sind wir weit entfernt. Jede Art von Vereinbarung des Aufhörens des Mordens ist besser als der religiöse Fundamentalismus, als theologische Konstrukte, - ein paar alte Steine, ein Stück Land, die zum „Heiligtum“ erhoben werden, und als behauptete allein selig machende Wahrheit das Morden an Menschen auslösen.

„Überall dort, wo die Religion den Kurs einer Gesellschaft bestimmt, kommt es zu Tyrannei. Zur Inquisition. Zu den Taliban“, schreibt uns Salman Rushdie ins Stammbuch. „Für die Kirche gibt es keine schlimmere Häresie oder Philosophie als den Menschen“, ergänzt James Joyce.

Die „Verbrecher“ werden in allen Ecken der Stadt aus ihren Löchern geholt und zu einer Herde auf dem Marktplatz zusammengetrieben. Die gaffende Menge verfolgt den „Viehabtrieb“ durch die Straßen zum Bahnhof. Die Volksschädlinge werden in Viehwaggons gepfercht. Eine ausgefeilte Logistik sorgt für den reibungslosen Transport der Herde in eine entfernte, mit den modernsten Errungenschaften der Technik ausgestattete Fabrik. Dort werden sie „entlaust“, das heißt, auf bestialische, durch die effektivst verfügbaren Betriebsmittel unterstützte Weise ausgerottet.
Die Verarbeitungskapazität der hochmodernen Industrieanlage besteht aus 6 Millionen Verarbeitungsvorgängen in drei Jahren.

Die „Verbrecher“, die der Endlösung, also ihrer rücksichtslosen Ermordung zugeführt werden, hatten sich auf das Schwerste am „Volkswohl“ versündigt: sie trugen einen Judenstern.
Der Holocaust müsste uns die Augen öffnen, da er uns zeigt, dass der Rassismus nicht allein mit dem aufklärerischen Verstand, sondern nur mit dem emphatischen Mitfühlen und Mitleiden außer Wirkung gebracht werden kann.
"Wahre Satire verletzt nicht - sie tötet."
Lec
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Re: Pestbeulen

Beitragvon Novelle » Di 22. Mai 2018, 16:05

Lieber Jupp, da hast du dir Einiges von der Seele geschrieben. Gut so. Ich pflichte dir bei und habe nichts hinzuzufügen. Jedenfalls im Moment nicht.

Herzliche Grüße von Henriette
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