Heitere Empfindungen bei der Niederkunft auf dem Lande




Belletristik und Lyrik aller Art

Heitere Empfindungen bei der Niederkunft auf dem Lande

Beitragvon jupp » Fr 25. Sep 2015, 10:06

Kopfleiste Jupp erzählt .jpg



ERWACHEN HEITERER EMPFINDUNGEN BEI DER NIEDERKUNFT MEINER TANTE AUF DEM LANDE

Meine innig geliebten Großeltern, sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits, waren gottesfürchtig, dienten jederzeit allen Herren, wie sie nacheinander kamen, ohne Widergedanken oder gar Widerworte, waren arbeitsam, hassten den „Erbfeind“ und sündigten gelegentlich, aber begingen nie die Todsünde, dass sie es zugelassen hätten, dass sich eines ihrer Kinder einer/einem Protestantischen im ehelichen Bett nähern dürfe (diese vom Teufel bessenen Abtrünnigen machen dabei noch nicht einmal das Licht aus!), sie, die doch sonst so geduldsam waren, sogar die Predigtworte des Hochwürden Herrn Pfarrers für ernst nahmen, duldeten einfach keinen Sündenpfuhl. Mit einem Wort, meine innig geliebten Großeltern waren gut katholisch, was zu ihrer Zeit öfter vorkam (heute nur noch in einem kleinen Kreis von Bekloppten Brauch ist). Sodass es auch absolut normal ist, dass mir im Laufe der Zeit 17 Tanten und Onkel zuwuchsen, wobei der Lauf der Zeit eine recht große Zeitspanne umfasst, denn mein Großvater väterlicherseits setzte im fortgeschrittenen Alter von 52 Jahren das Werk, das er mit seiner nahezu gleichaltrigen ersten Frau begonnen hatte, mit seiner bedeutend jüngeren zweiten Frau fort. Auch mein Großvater mütterlicherseits war ein aktiver Katholik.

So sorgten meine innig geliebten Großeltern für den erwähnten Bestand von 17 Tanten und Onkeln, die alle sehr gut katholisch waren. Was auch zu deren Zeit noch öfter vorkam, also normal war.
Ich muss dies vorausschicken, damit Sie mein Verhältnis zu meiner Tante Felicia verstehen und richtig einordnen können. Meine Eltern (meine Mutter muss ich genauer sagen) waren das älteste Paar der insgesamt 17 Kinder umfassenden Nachfolgegeneration meiner innig geliebten Großeltern, mütterlicher- und väterlicherseits zusammengerechnet. Meine Tante Felicia, die im späteren Verlauf der Geschichte bei mir auf dem Lande nieder-kommen wird, ist jedoch die jüngste der Sippe, das letzte Ergebnis des späten Glücks, das mein Großvater väterlicherseits in seiner zweiten Ehe mit seiner bedeutend jüngeren zweiten Ehefrau erzielte, wonach er nur noch im Kirchenchor wirkte. Meine Tante Felicia stand also noch „im Schatten junger Mädchenblüte“, wie ein bedeutender Schriftsteller jenen fast überirdisch anmutenden Zustand beschreibt – weshalb sie auch im Internat „Unserer Barmherzigen Schwestern vom unbefleckten Herzen Mariae“ aufbewahrt wurde, um ihre Unschuld für einen gut katholischen Mann aufzuheben – bevor sie bei mir auf dem Land ankam, um dort niederzukommen, während ich bereits darauf bedacht war, mich von Speisen zu ernähren, die die Dritten nicht allzu sehr beanspruchen.

Um die Ankunft und zeitweise Anwesenheit meiner Tante Felicia hatte mich Johannes, der älteste der liebenswürdigen Brüder von Felicia gebeten. Nicht über die bevorstehende Ankunft – meine Tante Felicia war mir schon oft ein gern gesehener Gast -, sondern über die dann bald zu erwartende Niederkunft war ich etwas überrascht, da mir bis dahin ein angeheirateter Onkel unbekannt war, und ich meine Tante Felicia im Internat „Unserer Barmherzigen Schwestern vom unbefleckten Herzen Mariae“ wohlbehütet wähnte. Noch nicht einmal von einer „Bauchehe“ war in gelegentlichen Telefonaten mit der Verwandtschaft gemunkelt worden. Johannes konnte mich jedoch schnell aufklären, indem er mir erklärte, dass Felicia von einer „weißen Taube“ überfallen worden sei. Jedem guten Katholiken ist bei dieser Sachlage sofort klar, dass die ob des Überfalls entstandene „Schande“ (wie die guten Katholiken das nennen) in keinem Fall im Kreiskrankenhaus einer katholischen Gemeinde das Licht der Welt erblicken dürfe. Johannes ist doch im Kirchenvorstand und Kassierer bei der „Caritas“, und Josef, der nur zwei Jahre ältere Bruder von Felicia, seit Jahren Obermessdiener und erster Helfer des Pfarrers beim sonntäglichen Kommunionverteilen. Das passt doch nicht zusammen. Meine Tante Felicia brauchte dringend Landluft.

Felicia strahlte aus ihren großen grünen Augen, wie das nur ganz junge Frauen, die eigentlich noch keine Tanten sind, ganz echt strahlend können, als sie bei ihrer Ankunft aus ihrem „Lupo“ kletterte, mich umarmte und mir zwei liebe Schmatze links und rechts gab.

„Ich hab Dir auch was mitgebracht“, glückseligte sie mit glücklicher Stimme.
„Ich seh’s“ lächelte ich mit meinen lebenserfahrenen Lachfalten, während sie schon den Kofferraum öffnete.
„Ein lieber Gruß für Dich von Johannes“, schelmte sie, und drückte mir ein Kistchen feinsten trockenen Rieslings von der Saar in die Hand, während sie selbst ihre Reisetasche in die rechte Hand packte, eine Palette mit sauren Gurken unter den linken Arm klemmte, und es irgendwie noch fertigbrachte, den Kofferraumdeckel zu verschließen.
„Dann lass uns mal reingehen“.

Quicklebendig-belebend waren die Tage nach Felicias Ankunft. Sie quatschte mich ständig voll, wie das junge Frauen so an sich haben, kochte Dinge, die ich bisher nicht kannte, die nicht nur gut schmeckten, sondern auch meine Dritten nicht über Gebühr beanspruchten. Beim abendlichen „Canasta“, bei dem das Mitbringsel von Johannes rasch dahinschmolz, machte mich Felicia regelmäßig platt. Beim „Malefiz“ räumte sie raffiniert alle Barrikaden weg und setzte sie mir altem Sack vor die Nase. Das alles mit einer solch fröhlichen Unbekümmertheit, dass mir schwante, meine jüngste Tante Felicia sei aus der altbewährten Familientradition ausgebrochen, so unkatholisch kann man doch andere Umstände nicht nehmen.

Der kalendarisch berechnete Tag der Niederkunft nahte, das Köfferchen mit der Zahnbürste stand griffbereit im Flur. Doch nichts ging voran. Felicia wollte weiterhin saure Gurken und Malefiz.

„Beunruhige Dich nicht“, beruhigte mich meine Nachbarin Gerda, die sich als mit beiden Beinen im Leben stehende Landfrau im wirklichen Leben auskennt, „das wird ein Junge, der braucht noch ein paar Tage Zeit, bis das Zipfelchen gewachsen ist“.
Gerda, meine lebenspraktische Nachbarin, hatte Recht. Felicia kam nach ein paar Tagen mit einem Knaben nieder. Fest hielt sie das knautschige Bündel in ihren Armen als ich sie im Krankenhaus besuchte, sie strahlte aus ihren großen, grünen Augen, wie das nur junge Frauen können, bevor sie Tanten werden.

(Aus meinem Buch Jupp erzählt, amazon.de)
"Wahre Satire verletzt nicht - sie tötet."
Lec
Benutzeravatar
jupp
Administrator
 
Beiträge: 231
Registriert: Sa 20. Apr 2013, 10:15
Wohnort: Irgendwo, ein kleines Dorf in der Provinz

von Anzeige » Fr 25. Sep 2015, 10:06

Anzeige
 

TAGS

Zurück zu Texte

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast

cron