Titel Text II 600.jpg
Vom SENS des NONSENSAuch wenn man sich (für deviante Nachbeterinnen von Alice: wenn frau sich) auf den Kopf stellt, bleibt es eine dem Verstehen eines Normalos zugängliche Tatsache, dass jedem, der den kurzen Hosen entwachsen und nicht in diese frühe Phase der Entwicklung regrediert ist, der Unterschied zwischen Roi Ubu und gehirnreduzierten Comedians, den deppert grimassierenden Bühnenhopsern, geläufig ist. Es wäre schwachsinnig wie die bedirndlte Jodel-Marianne von Altötting, einem zutiefst bejammernswerten Opfer der tiefenpsychologisch orientierten Vorschulpädagogik, wollte man (wollte frau, siehe oben) leugnen, dass Anna Blume, der sinngefüllte Dada, und die halbgaren Befüller der „öffentlich-rechtlichen Pissrinnen“, wie G. Schramm ARD, ZDF und Co. sie in ihrer Substanz kenntlich gemacht hat, grundverschiedenen Welten angehören. Es gibt sone und sone.
Auch eine von liebevoller amateuriger Laienhand, diese kennt die Hochzüchtung eines *****Profis nicht, auch eine vom Freudenköchler zubereitete Rehkeule kann den Fluss des Speichels in sehr erfreulicher Weise anregen. (Vegetarier mögen die Rehkeule gegen einen kleinen Haufen rechtsdrehenden Tofu austauschen.) Ermuntert von dieser genussvollen Erfahrung am eigenen Leib wage ich es – objektive Kriterien für die soeben liebevoll ausgemalte Unterscheidung kenne ich nicht (- gibt es die? Kann man einen Text ‚objektiv vermessen’?) -, als literaturtheoretischer Laie, dem liebevoll angerichtete Literatur Leib- und Hirnspeise ist, als Freudenköchler wage ich es, einige Sätze über meine Auffassung des Nonsens zu einem Text aufzubereiten. Diesen lege ich, in der Hoffnung, dass er reichlichen Fluss der Gedanken auslösen möge, den geneigten Leserinnen und Lesern vor. Gleiches verübe ich auch an den aufrechten L’s: ich kenne keinen Grund, der mir anderes Handeln ans Herz legte. Also, ich schreite nun zum Werk.
Im vergangenen Jahrhundert, es hatte kaum angefangen, kamen einige Künstler in der Kohorte der bildenden Kunst auf den – damals als spinnert-sinnlos verlachten – Gedanken, Gemälde und Skulpturen ohne (herkömmlich gedachten) Inhalt in die Szene einzuschleusen. (Die Zeiten haben sich geändert. Brigitte, die blondierte Zahnarztfrau gilt derzeit nicht mehr als spinnert, sagt im Museum: „Was ist das? Das kann meine Tochter auch“.) Auf ihren Leinwänden wollten die von den „Verrückten“ (ja, sie haben die Grenzen verrückt!) darauf verteilten Farben partout nicht jene Zusammenfügung aufweisen, die den Betrachter mit Entzücken füllen, weil er hohe Berge, oft schneebedeckt, hinter einem stillen See im Vordergrund im frühen Morgenlicht erkennt. Besonders vermisst wurde von den Kunstexperten die Darstellung nacketer Frauen in allerlei Posen (schon damals wurden nach lang bestehendem Brauchtum die Nackten auf der Leinwand zu kunstvollen Akten hochgeedelt, um sie vor den Nachstellungen der Moralinübersäuerten zu schützen). Die neu kreierte Sparte von sinnloser Kunst, solcher ohne üblichen Inhalt, nannte man bald „abstrakt“, obwohl sie sehr konkret ist: sie zeigt Farben, Formen und Dynamik/Energiefelder in Reinkultur. Farben und Formen werden, das war das Neue, von ihrer knechtischen Rolle, einem Inhalt, sei es ein Objekt, eine Landschaft, ein Fürst, eine Nackerte, sei es eine Idee, E. Delacroix „Die Freiheit führt das Volk an“) als Gestaltungsmittel zu dienen, befreit; Farben und Formen werden selbst zum Inhalt. Rot ist nicht das Bäckchen eines reifen Apfels, Rot ist ein Rot. Schau ein Farbfeldbild von Mark Rothko eine halbe Stunde an. Denke dabei an nichts. Nach 10 Minuten kommt Leben in das Rot; nach 15 Minuten beginnt es, zu erzählen. Sens des Nonsens.
Nach dieser in den Fluss der Gedanken einleitenden Vorrede lasse ich die mit Spannung erwartete Katze aus dem Sack. Ich breite meinen Ideenkatarakt aus, dass auch ein Teil der Künstler von der Sorte, die Texte zu Papier bringen, im letzten Jahrhundert damit begannen, Nonsens zu produzieren, indem sie Worte und Sätze aufs Papier brachten, die „abstrakt“ waren, gegenstandsfrei, ohne (herkömmlich gedachten) Inhalt daherkamen. Sie lockten keine Tränen seelengerührter Empfindung in die Augen, da die Texte keine Schilderung von hohen Bergen mit schneebedeckten Gipfeln hinter einem stillen See im Vordergrund im Licht des frühen Morgenrots enthielten. Insbesondere vermissten die Literaturexperten die Beschreibung der verschiedenen Posen, in denen nackische Frauen eindeutige Tätigkeiten, einschließlich deren psychophysischen Auswirkungen, die weder von schlechten Eltern stammen noch von Pappe sind, verrichten. Diese, hoffentlich sehr eindrucksvoll geschilderte Tradition, wurde in „es war einmal“ verbannt. Laute, Worte, Satzgebilde wurden von ihrer knechtischen Rolle, einem Inhalt als Gestaltungsmittel zu dienen, befreit; sie wurden selbst zum Inhalt.
Ein erstes Beispiel, Karl Hohler, will ich anführen.
Das Befinden
„Wie geht’s?“ fragte die Trauer die Hoffnung.
„Bin etwas traurig“, sagte die Hoffnung.
„Hoffentlich“, sagte die Trauer.
(Die blaue Amsel, S. 92)
Der traditionsgebundene Interpret, der sofort einen von A nach B brav erzählten Inhalt sucht, findet keinen und gerät in literaturtheoretisches Schwurbeln. Er spricht mit bedeutungsvoller Mimik, die tiefes Wissen ausströmen soll, von faustischer Getriebenheit, beseelter Tiefe, oder dergleichen Quark. Er hat Chotjewitz nicht gelesen: „Aber wer sagt eigentlich, dass ein Roman hauptsächlich durch Plot, durch Action bestimmt sein muss? Wenn man mit dieser Erwartung Jean Paul auf den Leib rückt, dann verlangt man etwas von ihm, was er überhaupt nicht geben will. Er hat ja ausdrücklich gesagt: Schnurstracks von A nach B gehen, das sei als Roman ein Graus für ihn! Er wollte die verschwenderische Entfaltung der Welt, ihre Neuschöpfung durch den Reichtum der Sprache.“
Es geht bei Hohler und zahlreichen anderen Autoren um Sprachspiel, Spiel mit der Sprache und dem Wort, um eine Art literarische Kollage. Noch haben die einzelnen Wortschnipsel eine Bedeutung, aber Hohler nützt genau diese Erinnerung an Bedeutung, um durch seine Groteske den Leser zu verwirren. Auch bei Esterházy ist „die Bedeutung der Sprache größer als die der Handlung“, die Sprache ist „der Protagonist“ und die „Wörter die Figuren …“ Das scheint eine krasse Untertreibung angesichts des „versatilen Drehens, Dribbelns, Kopfstoßens und Fallrückziehens dieses Erzählers“, sagt Imre Kertész dazu.
Noch einen kleinen Schlenker in die Tiefe; wir Menschen und unsere Welt sind nicht nur rein logisch und von der Vernunft gestaltet. Wir sind auch a-logisch und nicht-vernünftig, nicht weil wir nicht aufgeklärt wären – ich sehe durchaus die großen Defizite, die wir in dieser Hinsicht haben -, sondern weil wir so beschaffen sind. Wir sind nicht nur rationale Wesen, sondern auch nicht-rationale. Der Mensch als das „Wesen auf der Suche nach Sinn“ (Victor Frankl) wird bei seiner Suche entdecken, dass er als „homo ludens“ (Huizinga) auch ein Un-Sinniger in einer in Teilen nicht-rational geordneten Welt ist.
An dieser Stelle kommt jetzt mit zwangläufiger Gewissheit (ein Schnupfen führt unweigerlich zu einer erhöhten Produktion von Nasenschleim) meine fehlende theoretische Ausbildung zur Gänze an das Licht des Tages, denn ich vermag den sinnhaltigen Nonsens nicht mit scharf unterscheidender Begrifflichkeit und Argumentation vom semidebilen Comedy-Gedaddel im Flachsehen zu trennen. Ich vermag nur zu sagen, dass „sinnfrei“ nicht „sinnlos“ oder „unsinnig“ bedeutet, „alogisch“ nicht „unlogisch“, manches a-logische folgt nur nicht der Logik des Aristoteles.
Der vernunft-schlaue Schüler kommt zum Rabbi.
„Rabbi, gibt es einen allmächtigen Gott, der so mächtig ist, dass er einen gewaltigen Stein schaffen kann, so schwer, dass er ihn nicht tragen kann?“
„Das musst Du glauben, mein Sohn.“
Das uralte Dilemma der allein auf die Logik bauenden Anhänger, der Schüler der Vernunft, mit der man den „allmächtigen Gott“ abtun kann. Wenn Gott einen so schweren Stein schaffen kann, dass er ihn nicht tragen kann, ist er nicht allmächtig. Das ist er ebenfalls nicht, wenn er einen solchen nicht schaffen kann. Also gibt es keinen Allmächtigen; soweit die Logik.
„Das musst Du glauben, mein Sohn.“
Der Rabbi bringt eine gänzlich andere Kategorie als die Vernunft, den Glauben ins Spiel. Nicht erst Kant, er aber besonders prononciert in seiner „Kritik der reinen Vernunft“, unterscheidet scharf zwischen zwei Erkenntnisquellen des Menschen: dem beweisbaren, gesicherten Wissen von Verstand/Vernunft und der nicht beweisbaren, a-logischen Erkenntnisquelle über die Befindlichkeit der Welt, dem Glauben.
Ich vermag nur weitere Beispiele (ich schlaumeiere: sie können niemals etwas beweisen, allenfalls veranschaulichen) für zwei Arten von gelungenem Nonsens zum Zeugen meiner Meinung aufbieten.
Zu meiner Rechten singen die Wort- und Sprachakrobaten ihre herrlichen Hymnen. Schon mit dem Titel „Laut und Luise“ – ähnlich seinem „lechts und rings“ - stürzt uns Ernst Jandl in das Abenteuer der Sprache als Selbstzweck. Es sind keine lauten Gedichte, sondern Lautgedichte, die eine als Luise assoziierte Person verlauten ließ.
chanson
l’amour
die tür
the chair
der bauch
the chair
die tür
l’amour
der bauch
der bauch
die tür
the chair
l’amour
…
Wer in diesem Gedicht nach einem Inhalt, nach einem Sinn im herkömmlichen Sinn sucht, kann lange suchen, ohne fündig zu werden; er findet nur den funkelnden Diamanten des lupenreinen Sinnfreien: die strahlende Schönheit der Sprache. Unzweifelhaft hat chanson die Struktur eines Gedichtes, die es zum Sinn seiner Variationen einer Grundmelodie macht. Ich höre Aznavour, wobei es von Vorteil ist, dass ich den französischen Text nicht verstehe, er für mich ein Lautgedicht ist.
Doch jetzt meldet sich mit brünstigem Kampfgeschrei zu meiner Linken der irrwitzige Nonsens der rechtshirnigen Logik zu Wort. Tatsächlich, auf die herkömmliche Logik Beschränkte halten diese Art der Logik für sinnlos. Die Armen.
„Ich freue mich wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.“
Karl Valentin. Und noch einer:
„nach seinem ebenbilde
warum, fragte der kleine dünne filzstift seinen dicken vater, der es zum marker gebracht hatte, warum müssen wir eigentlich mit dem kopf arbeiten? das ist leicht zu erklären, sagte der vater, uns hat der liebe mensch erfunden, und wenn der nachdenkt, also mit dem kopf arbeitet, möchte er das niederschreiben, und das können eben am besten wieder nur kopfarbeiter. aha, sagte der dünne kleine filzstift, der mensch schuf uns also nach seinem ebenbild.“
Friedrich Achleitner gehörte zu jenen Sprachvernarrten, dass er im Liebesakt seines zärtlichen Umgangs mit ihr, den Inhalt an den Rand seines Wirkens schob. Andere aus der Garde der Sprachverrückten ersetzten das klassisch linear erzählte Geschehen oder die analytische Erläuterung einer Idee durch die Collage der assoziierten Wort- oder Gedankenfetzen, sodass MERZ nicht mehr ein Ausschnitt von Commerz, sondern eine zwar inhaltslose, aber glänzende Perle ist. Und zu allem die Welt der A-Logik! Karl Valentin trug auf der Bühne eine Uhr ohne Zeiger an der Uhrkette. Auf die Frage nach dem Warum dieser Sinnlosigkeit antwortete er: „Jo mei, soll ich vielleicht einen toten Hund an der Kette herumtragen?“
Wladimir zu Estragon: Da bist du also wieder, du.
Estragon: Meinst du?
Wladimir: Ich freu mich, dich wiederzusehn. Ich dachte, du wärst weg für immer.
Estragon: Ich auch.
Beckett (hat da jemand absurd gerufen?) war bei seinem Münchenaufenthalt von Valentin schwer beeindruckt. Wahrscheinlich hat er Estragon als Bankert von Valentin gezeugt.
War jetzt meine Laienansicht über den Nonsens völlig sinnlos?