Re: Gedanke
von jupp » Sa 5. Mär 2016, 11:50
Lieber Kario,
da Du die Sache mit den Wildlederhandchuhen (aus nachvollziehbaren Gründen) nicht ganz ernst nimmst, probiere ich es mit einem typisch badischen Rezept.
Kalbsnierle badisch, die
Die Kalbsnierle badisch kann man nicht definieren, man muss sie erleben.
Kalbsnierle sauer auf badische Art
Es genügt vollauf, sich den markanten Werbespruch „vom Gutedel verwöhnt“ einmal wie ein „Erdbeersorbet mit Zitronenmelisse“ auf der Zunge zergehen zu lassen, um das strahlende Sonnenmännchen auf den Etiketten der auf Flaschen gezogenen Lebenslust zu begreifen, und das Geheimnis der badischen Leber zu lüften. Die badische Leber ist ein liebevoll verwöhntes Kerlchen, das sich ganz natürlich, nicht unnatürlich wie ihr Geschwister nördlich des Mains wegen des überreichlichen Hineinstopfens von Pommes mit Ketch und Majo, im Verlauf der Zeit stark vergrößert. Während Pommes mit Ketch und Majo sehr ungesund sind, genießt die badische Leber die landestypische Gottesgabe nicht in vollen Zügen, sondern in dichtbesiedelten Gasthäusern und in heimeligen Wohnstuben.
Die „Kalbsnierle sauer auf badische Art“ werden, im Gegensatz zu den badischen Lebern nicht mit Flaschen großgezogen, noch auf diese gezogen; sie kommen aus der Sauteuse, die zur Grundausstattung der badischen Küche gehört wie das Kind zu einer Mutter. Würden die modernen Frauen nicht die Mikrowelle, sondern eine Sauteuse benutzen: Deutschland würde nicht unter Kindermangel leiden. Wie die „Kalbsnierle sauer auf badische Art“ in die Sauteuse hineinkommen, wie sie sich dort entwickeln bevor sie aus der Sauteuse herauskommen? Es sei an dieser Stelle verraten.
Ein abwägendes Händchen - ein elementarer Bestandteil von badischen Frauen - von mildwürzigen Schalotten wird von ihnen als Grundstein einer „mise en plat“, nachdem sie gehäutet wurden, in gaaanz feine Schnipsel geschnitten und gehackt. Sie ertragen diese Prozedur ohne die geringsten Anzeichen von Murren und Schmerzgestöhne, denn darin verstehen sie den Sinn ihres Lebens. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die sanften Schalotten – nur geschmacklose Banausen nehmen gewöhnliche Küchenzwiebeln unter das Messer, sie gehören in die Brühe, in der eine Ochsenbrust ihrer Zartheit entgegen simmert – von den Menschen, von denen etliche Exemplare im Mittelalter wegen ihres Glauben oder ähnlichem groben Unfug einer den Schalotten vergleichbaren Behandlung unterzogen wurden. In klarem Gegensatz zu den Schalotten eignen sich Menschen nicht als Grundlage für „Kalbsnierle sauer“. Auf der „mise en plat“ finden auch die reichlich gewässerten, liebevoll trockengetupften Nierle, die bis zu diesem Moment in keinem Fall sauer sein dürfen, einen Ehrenplatz, genau wie der Bürgermeister in der ersten Reihe, wenn die Trachtenkapelle ihr Jahreskonzert zum Besten gibt. Jetzt verrichtet ein scharfes Messer sein segensreiches Werk; dabei ist es völlig belanglos, von welchem Hersteller es stammt, es muss nur sehr scharf sein. Denn nun wollen die Nierle, ohne verquetscht zu werden, in dünne Scheiben zerlegt werden. Voilà! schmettert die Köchin mit überzeugender Brust raumfüllend in ihre Wirkungsstätte, und nimmt das zweite Achtele vom Kochwein, der im Badischen beim, zum und nach dem Kochen sachdienliche Verwendung findet.
„Schatz, Du schaust mich so voller Verlangen an, willst Du auch ein Achtele?“
„Liebling, ich bin nicht im Entzug.“
So bodenständigheiter sind die Gespräche, die in der badischen Küche, wenn die „Kalbsnierle sauer“ ihrer Vollendung entgegenschreiten, von philosophisch beschlagenen Menschen geführt werden.
Es folgt der stolze Auftritt der Sauteuse, dem sie schon eine ganze Weile entgegengefiebert hat. Sobald sich auf dem Herd ihr Fieber in eine ordentliche Erhitzung verwandelt hat, darf in ihr ein nicht allzu sparsames Stück Butter jene goldgelbe Farbe annehmen, die dem gehaltvollen Ruländer vom verwitterten Vulkangestein des Kaiserstuhls seine Freunde finden lässt. Die in diesem Zustand empfangsbereite Butter schlingt um die ihr beigelegten Schalottenwürfelchen (-chen müssen diese unbedingt sein, auf keinen Fall Würfel) ihre freudig erregten Sinne, und begleitet sie liebevoll, bis auch diese, nachdem sie zuerst glasig wurden, eine sehr dezente Färbung angenommen haben. Es folgt ein veritabler Quickie, jetzt muss alles sehr schnell gehen, denn auf der Flamme nebenan sind die schmalen Bandnüdele schon fast gar. Schwups, ab mit den Nierle in die Sauteuse! Eine kurz und knappe Minute, um mit den Schalotten eine enge Freundschaft zu schließen. Mit geübtem Schwung aus dem Handgelenk heraus die verhalten verfärbten Nierle wenden, Salz und Pfeffer drauf, und jedenfalls ein wägendes Händchen von Senfsaat für die lieben Schnuggelchen. Der Clou der die Fresslust steigernden Sauerei: mit getröpfeltem feinstem Weinessig würzen. Würzen! nicht zum Saufen geben. Seit der Antike schürzt sich in diesem Moment eine Gewissens- und Glaubensfrage zum allseits bekannten Knoten zu: mit trockenem Gutedel oder Spätburgunder mit diesbezüglich gleicher Eigenschaft ablöschen? Die souveränen Badener trennen diesen gordischen Knoten der Gewissens- und Glaubensfrage mit ihrer pragmatischen und lebensklugen Genussfreude durch: diese Woche darf der trockene Gutedel, nächste Woche der trockene Spätburgunder die Löscharbeit übernehmen. Keinerlei Gewissens- und Glaubensfrage wirft das Dogma auf, dass ein Esslöffel Schmand noch mitköcheln muss bis die feinen Bandnüdele abgeschüttet und auf die Teller platziert sind, auf dem endlich auch die „Kalbsnierle sauer auf badische Art“ ihre vorletzte Ruhestätte finden. Keiner besonderen Erwähnung bedarf es, dass die beim und zum Kochen angebrochene Flasche – sei es Gutedel oder Spätburgunder – nach dem Kochen ohne Restbestände zu hinterlassen geleert werden muss. Die badische Küche ist doch keine Resteküche.
"Wahre Satire verletzt nicht - sie tötet."
Lec