Böll - 100




Belletristik und Lyrik aller Art

Böll - 100

Beitragvon jupp » Sa 2. Dez 2017, 21:09

SO WARS ADAM

Die angenehme Wärme der späten Maisonne konnte Brunhilde F. nicht das nagende Gefühl der Angst nehmen. Sinnlos das Überleben, noch mehr als das Verrecken im Felde, in den einstürzenden Kellern. Beißender Rauchgeruch noch über den Trümmerbergen, die vergeblich auf den Endsieg gewartet hatten. Brunhilde F. fröstelte bei ihrem langsamen Gehen durch den verwüsteten Stadtpark, in dem einst das Leben. Verlorene Kindheit ohne wärmende Elternhände. Unrat auf den schon lange nicht mehr geharkten Kieswegen. Keine Blumen in den einstmals gepflegten Rabatten, in denen sich das Unkraut breit machte. Leergefressen von einem nutzlosen Leben, breitete sich Gleichgültigkeit in ihrer Seele aus; keine Spur von aufkeimender Liebe: die Verlassenheit schlug die Menschen ans Kreuz.
Geborstene, halbverkohlte Bäume. Metapher einer trostlosen Generation, der die Kirchtürme verfielen. Brunhilde F. blieb stehen als er sich in seinem abgerissenen Armeemantel näherte. Sie hatte am frühen Nachmittag schon getrunken, wusste um den verderbten Hauch, der ihren Mund mit der eiternden Parodontose verließ. Schnaps der frühen Tage. Notdürftig geflickte Strümpfe und ihr zottiges Haar kündeten von der Verwahrlosung einer jungen Frau durch die Ferne von den heilenden Predigten des Pfarrers von St. Marien. Zwei lange, unruhige Blicke. Heinrich sah ihr mageres graues Gesicht, den trostlosen Blick ihrer Augen und roch den kalten Schweiß, den durchwachte Bombennächte ihrem Körper eingepflanzt hatten. Mit fröstelndem Schaudern erinnerte ihn ihre abgemagerte Gestalt an seinen linkskatholischen Kumpel, der vor drei Wochen im verdreckten Bahnhof von Winiza seine letzte, von seiner Mutter sorgend mit Kölner Schweineschmalz bestrichene Stulle mit ihm geteilt hatte. Fracht trunken grölender Soldaten in den Tod im Osten. Sie nahm die dargebotene Hand an und hastete mit ihm auf einem Nebenweg in das halb zerbombte Gewächshaus. Auf ewig verlorene Ehre eines deutschen Gärtners. Er erwachte zur Realität des Lebens, als Brunhilde F. hastig seinen Mantel und seine Hose aufknöpfte. Sie vögelten hastig, heftig. Und sagten kein einziges Wort. Halb unterdrücktes Keuchen beim Austausch der Sekrete.

„Zigarette?“
„Danke.“
„Feuer?“
„Danke.“
Zwei tiefe Züge. Dann gingen beide weiter ihre getrennten Wege.

Die Schutthaufen zerbombter Häuser säumten seinen Weg zur Franziskanerkirche. Aber das Einerlei der zwei nach dem Verlassen des Beichtstuhls hastig und monoton gebeteten Schmerzensreichen Rosenkränze vor dem Ewigen Licht befreiten Heinrich nicht von der an ihm nagenden Frage ob eine Gottesferne die Menschheit getroffen habe. Wo bist du Adam?
Zuhause in seiner kalten Kellerwohnung, allein und ohne Briketts, setzte er sich an den kargen Küchentisch und öffnete eine Flasche Korn. Sein wirrer Blick blieb am Kruzifix über dem Herd hängen, ohne einen Ausweg aus der Beklemmung seiner Seele zu finden.

Die künftige Menschheit wird einst herauszufinden, ob es die frühestmöglichen Erfahrungen harter, aggressiver Stöße waren, die seine soeben entstandene Seele verletzten, oder die Gnade einer HÖHEREN MACHT, die Georg F., das unerwünschte Ergebnis der Begegnung im halb zerbombten Gewächshaus, trotz der ihm seit seiner Zeugung anhaftenden verlorenen Ehre zu einem sanftmütigen Prälaten mit etwas seifigen Wangen und deutlichem Bauchansatz werden ließen.
"Wahre Satire verletzt nicht - sie tötet."
Lec
Benutzeravatar
jupp
Administrator
 
Beiträge: 231
Registriert: Sa 20. Apr 2013, 10:15
Wohnort: Irgendwo, ein kleines Dorf in der Provinz

von Anzeige » Sa 2. Dez 2017, 21:09

Anzeige
 

TAGS

Zurück zu Texte

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast

cron