In den Regen gestellt




Belletristik und Lyrik aller Art

In den Regen gestellt

Beitragvon jupp » So 24. Nov 2013, 11:02

Den Text von Conrad, den er mir per PN geschickt hat, habe ich hier eingestellt. Daher mein Avatar.


In den Regen gestellt
von Conrad Cortin

Wo ich stehe, ist sonst niemand.
Auf mich gehst du keinen Schritt zu..
Überwechseln soll ich auf deine Seite,
andernfalls müsse ich alleine sehen, wo ich bleibe,
Nichts mehr zu sagen.habest du mir, sagst du.
Zwischen dir und mir ist eine Mauer des Schweigens.
schneidest von meinen Mantel die Knöpfe ab,
die du gestern angenäht hast.
Mit meinem Rad fahre ich in die Stadt.
Dort lehne ich es beim Alten Botanischen Garten an den Zaun
und gehe über die Straße zum Nigerianischen Konsulat,
bewerbe mich als Entwicklungshelfer.
Entwicklungshelfer in Afrika, das würde dir gefallen,
damit könnte ich dich von mir überzeugen,
und du würdest wieder mit mir reden.
Vielleicht kämst du sogar mit nach Afrika.
Doch im Konsulat wollen sie mich nicht.
Für diese Aufgabe sei ich viel zu lebensfremd
und zu unpraktisch, sagen sie.
Nicht einmal Knöpfe könne ich annähen.
Als ich heimfahren will, ist mein Rad verschwunden;
hätte es vorhin absperren sollen.
Jetzt müsste ich die Straßenbahn nehmen,
habe aber kein Geld bei mir.
Immer hast du alles bezahlt und mir mein Taschengeld zugeteilt.
Zu regnen beginnts.
In der Kaufhauspassage stelle ich mich unter
und blicke in den grauen, fast undurchdringlichen Regenschleier.
"Wahre Satire verletzt nicht - sie tötet."
Lec
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von Anzeige » So 24. Nov 2013, 11:02

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Re: In den Regen gestellt

Beitragvon jupp » So 24. Nov 2013, 15:15

Lieber Conrad,

schon Deine Sprache. „Zwischen dir und mir ist eine Mauer des Schweigens.“ Gleich geschliffenem Marmor kommt sie daher. Klassisch. Vollendet.

Am Schluss heißt es: „… fast undurchdringlichen Regenschleier“. Ein Schleier, typisch für viele Texte von Conrad, liegt über der Szene. (Im Scherz sprach ich vor langer Zeit von „metaphysischem Realismus“.) Er kann nicht die schrittweise Entschleierung des jammernden Protagonisten zum untauglichen „Männle“ verhindern.

Die Geschichte einer Trennung, symbolisiert durch das Abschneiden der Mantelknöpfe. Und das selbst zum Entwicklungshelfer untaugliche Männchen kann nicht einmal Knöpfe annähen. Eine Portion Mitleid mit dem Jammerbild.

Herrlich, Conrad, mir gefällt Dein neuer Text.

Herzliche Grüße
Jupp
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Re: In den Regen gestellt

Beitragvon gnies.retniw » So 24. Nov 2013, 18:55

Mir gefällt der Text von Conrad auch. Die durch Conrads Worte entwickelten Bilder sind stark: Man kann den Mann förmlich sehen, der da steht wie ein (regen)nasser Pudel.

Bleibt zu hoffen, dass der Protagonist nicht vom Regen in die Traufe fällt, wenn er es schon nicht nach Afrika schafft ...

Lieben Gruß von Signe
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